Cigarren-Manufaktur

Arbeitsgemeinschaft: ARCHIDEA

Ronald Kirsch / Ninous Tatari

Gebäudetyp: Wohnhaus   | Stadtteil: Burglesum  | Baujahr: 2008  | Bauherr: bras e.V. arbeiten für Bremen  |
Straße: Stader Landstraße 46  

Ein vertikaler Glaserker betont den HauseingangStraßenansichtTreppenhaus mit historischem Relikt
LageplanGrundrisseSchnitt
Gartenseite. Hinter dem Erker liegt im Erdgeschoss das Bewohner-Café.

Gartenseite. Hinter dem Erker liegt im EG das Bewohner-Café (Foto: ARCHIDEA)

In dem Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert wurde bis zum Zweiten Weltkrieg Tabak verarbeitet. Nachdem es jahrelang ungenutzt dem Verfall ausgesetzt war, drohte ihm schließlich der Abriss. Fast zufällig entdeckten die Architekten das Haus. Sie verstanden es, die Möglichkeiten einer Wohnnutzung mit Hilfe eines engagierten Bauherrn in die Tat umzusetzen. Die Kunst bestand vielmehr darin, (fast) ganz normale Wohnungen in das vorgegebene konstruktive Raster und hinter eine strenge Fassade einzufügen.
_Zugefügte architektonisch-funktionale Elemente aus Stahl und Glas lockern die historische Fassade auf und transportieren ein zeitgemäßes Lebensgefühl. „Die neuen Balkone und Erker hängen wie `Nester´ an der Industriefassade und geben dadurch dem neuartigen Wohnkonzept auch gestalterisch einen unverwechselbaren Charakter“ – so brachte es die Jury des „Bremer Landespreises für vorbildlichen Wohnungsbau 2008“ auf den Punkt. Das Bauwerk wurde mit einer Anerkennung ausgezeichnet.
_Neben der gelungenen Form ist bei diesem Bauprojekt aber auch ein doppeltes soziales Projekt hervorzuheben. Zum einen waren mit den Umbaumaßnahmen berufliche Qualifizierungen verbunden, um langzeitarbeitslose Menschen wieder an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Zum anderen handelt es sich hier nicht um ein ganz normales Wohnhaus, sondern um ein von den Bewohnern bewusst gewähltes Wohnexperiment, hinter dem das Anliegen steht, ein gemeinschaftliches Zusammenleben über Alters- und Herkunftsunterschiede hinweg aktiv zu gestalten.

O-Ton „Zur Beschreibung erst einmal ein paar Fakten: Wir sind derzeit insgesamt zwanzig Menschen – acht Männer und zwölf Frauen (und eine Hundedame, die ich in der weiteren Statistik jedoch nicht mehr berücksichtigen werde) –, die fünfzehn der insgesamt siebzehn verfügbaren Wohnungen bewohnen. (Platz ist also noch für drei bis sechs weitere Menschen!). Zusammen sind wir 873 Jahre alt, und die schnellen Rechner werden dann auch das Durchschnittsalter parat haben, nämlich 43,7 Jahre – womit ich auf den ersten Blick eine ziemlich prototypische Vertreterin unserer Gemeinschaft zu sein scheine.
_Dass unsere Hausjüngste sechs Jahre und die Älteste sechsundachtzig Jahre alt ist, macht da schon eher deutlich, dass es bei uns tatsächlich generationenübergreifend zugeht. Und dass die beiden sich nicht nur gegenseitig, sondern jeweils auch die ganze Hausgemeinschaft zu ihren Geburtstagsfeiern eingeladen haben, gibt Ihnen schon eine Vorstellung davon, was uns ausmachen könnte. _Wir stammen aus insgesamt neun verschiedenen Ländern und von drei verschiedenen Kontinenten. Unter uns gibt es Pensionäre, Berufstätige, Studierende der Jacobs University und Kindergartenkinder. Wenn es mit der Verständigung auf Deutsch oder Englisch nicht klappt, verwenden wir Hände und Füße, die englischsprachige Nachbarin oder auch ein Übersetzungsprogramm in einem Palm-Computer. Nicht selten, wenn unsere Tagesabläufe zu unterschiedlich sind, um uns zu besprechen oder zu besuchen, kleben kleine Nachrichtenzettel an der Tür oder werden spät nachts noch E-Mails geschrieben – auch von den sogenannten und durchaus innovativen `Älteren´“.
Auszug aus einer Rede der Hausbewohnerin Kristin Beck zum Tag der offenen Tür am 20.9.2008 (Quelle: Schriftenreihe Neue Architektur in Bremen, Band 8. Hg. Ingo Hemesath und das Bremer Zentrum für Baukultur. ISBN 978-3-941624-27-6)